Abb. oben: Spiegelung der Rankenmotive im Wasser des Neptunbrunnens


Neptunvariationen

Der Wiederaufbau des Tübinger Marktbrunnens, Symbol für die deutsch-französische Freundschaft, jährt sich zum 70igsten Mal. Aus diesem Anlass entwickelte Serge Le Goff das dreiteilige Projekt Neptunbrunnen, bestehend aus einer Performance auf dem Marktplatz, einer virtuellen Diashow im Stadtmuseum sowie einer von Gabriele Eberspächer kuratierten Begleitausstellung in der vhs. In dieser präsentierten Künstlerinnen und Künstler des Vereins Ort für Kunst e.V., Dozentinnen und Dozenten der vhs sowie weitere eingeladene Teilnehmende ihre Gedanken und Assoziationen zum Neptunbrunnen.

 

Ausstellende:

Martin Alber, Axel von Criegern, Gabriele Eberspächer, Gerhard Walter Feuchter, Kris Heide, Claudius Hennig, Valentin Hennig, Petra Herrig, Frido Hohberger, Ute Kroll, Peter Krullis, Serge Le Goff, Johannes Möhler, Monika Müller-Schauenburg, Martina Nehr-Kley, Renate Scherg, Sandrine Séquaris-Thies, Monika Sokol, Marion Springer, Doris-Lidwina Stauss, Ruth-Rosa Stützle-Kaiser, Werner Trotter, Ulrich Waiblinger

 

Vernissage: Sonntag, 08.07.2018, 11:00 Uhr

Ausstellungsdauer: 08.07. - 17.08.2018

Begrüßung: Caroline Minner und Serge Le Goff

Einführung: Dr. Kristina Heide und Gabriele Eberspächer

Ort: Volkshochschule Tübingen e.V., Katharinenstraße 18, 72072 Tübingen

https://www.ort-fuer-kunst.de/?p=285

Mehr Infos zum Gesamtprojekt: https://www.kunst-stoff.fr/art-kunst/installations/projekt-neptunbrunnen/


Begleittext zu meinen Arbeiten:

Die wohlproportionierte, symmetrische Harmonie des im Renaissance-Stil errichteten Neptunbrunnens löst sich aus der Nähe betrachtet auf in eine überreiche Fülle von Einzelfiguren und Ornamenten: Neptun befindet sich in Gesellschaft von Nereiden und Quellnymphen, wasserspeienden Löwen, Delphinen und Wassergeistern.

In meinen beiden Arbeiten zergliedere ich die Komplexität des Brunnens und spüre zeichnerisch den Einzelheiten und -figuren nach. Besonderes faszinieren mich die Statuen der Quellnymphen: als Personifikation von Naturkräften - am Brunnen versinnbildlicht durch das florale Rankenwerk - sind diese weiblichen Gottheiten die wohltätigen Geister der Orte, an denen sie sich aufhalten. Der verwendete Rötel und der warme, gelbe Hintergrund verweisen dabei auf das Vorbild für den Tübinger Brunnen sowie auf seinen Ursprung in einer ferneren Vergangenheit: den Renaissance-Brunnen von Bologna.


Auszug aus der Einführungsrede von Gabriele Eberspächer:

Ich möchte abschließend eine kurze Zusammenfassung zur Geschichte des Neptunbrunnens geben. Was hat dieser Brunnen überhaupt mit den Franzosen zu tun, und warum kann er als Symbol für die deutsch-französische Freundschaft verstanden werden?

Der Neptunbrunnen, in der Form wie wir ihn heute sehen, ist 70 Jahre alt. Er wurde in einer Enthüllungszeremonie am 03. Juli 1948 durch den damaligen OB Hartmeyer öffentlich eingeweiht. Doch seine Geschichte reicht in der Tat viel weiter zurück. Reisen wir gedanklich ins Jahr 1617: Heinrich Schickhardt entwarf den Neptunbrunnen im Stil der Renaissance nach einem Vorbild in Bologna. Er war herzoglich-württembergischer Hofbaumeister, der bedeutendste Baumeister der Hochrenaissance in Südwestdeutschland. Auf Italienreisen bezog er seine Inspirationen für seine Bauwerke, von denen wir heute noch viele sehen können. So stammt z.B. das Untere Schlossportal in TÜ vom ihm, das Wilhelmstift, die Ulrichsbrücke in Köngen, das Schloss Stammheim und der Stiftsfruchtkasten in Stuttgart. Er war an zahlreichen Schlossbauten beteiligt, errichtete aber auch viele Bürgerhäuser, Bäder, Brunnen und Keltern. Heinrich Schickhardt war übrigens der Onkel von Wilhelm Schickhart, der die berühmte Schickardsche Rechenmaschine erfunden hat, die wir heute im Stadtmuseum bewundern können. Schickhardts Entwurf für den Neptunbrunnen wurde von dem Bildhauer Georg Müller in Sandstein ausgeführt.

Ca. 300 Jahre später war der Sandstein jedoch so stark angegriffen und verwittert, dass es klar war, dass der Brunnen erneuert werden muss. Doch zu der geplanten Erneuerung durch den Tübinger Bildhauer Karl Merz kam es zunächst nicht. Der Grund war wohl die schlechte Finanzlage der Stadt.

Es kam das Jahr 1914 – und die erste große Katastrophe brach über Europa herein. 1939 – die zweite große Katastrophe des 20. Jahrhunderts begann. 1945: Europa lag in Trümmern.

Der Wiederaufbau des Brunnens kurz nach Kriegsende war wohl nicht ganz unumstritten. OB Hartmeyer setzte sich sehr dafür ein. Zunächst wurde der Tübinger Bildhauer Heinrich Krauß mit der Erneuerung des achteckigen Muschelkalktrogs beauftragt. Die Säule in der Mitte jedoch, deren Neptunfigur mittlerweile so baufällig war, dass sie abgenommen werden musste, sollte nicht mehr aus Sandstein, sondern aus dem haltbareren Material Bronze gemacht werden. Benötigt wurden: 1100 kg Kupfer, 350 kg Zinn, 400 kg Blei, 150 kg Messing und 800 kg Eisen. Doch woher den nötigen Rohstoff nehmen, so kurz nach dem Krieg? - Hartmeyer erließ einen Aufruf an die Bevölkerung, Metall zu spenden. Er sagte, dass es immerhin das erste Mal sei, dass eine solche Spende für kulturelle und nicht für Kriegszwecke Verwendung findet. Doch der Aufruf blieb ohne Erfolg, die Leute hatten nichts mehr. OB Hartmeyer wandte sich in seiner Not an die französische Militärregierung, die ihm umgehend Unterstützung zusagte. Sie stellten Waffen zur Verfügung, und zwar Waffen, die die Deutschen im Krieg erbeutet hatten und die nach Kriegsende von den Franzosen wieder beschlagnahmt worden sind. Dank dieser großzügigen Geste – die Franzosen gaben die Waffen als Geschenk! - war der Neptunbrunnen das erste Bauwerk in Tübingen, das nach Kriegsende wieder instand gesetzt wurde, und somit ist die Frage beantwortet, warum dieser Brunnen als Friedens- und Versöhnungssymbol zu verstehen ist.

Wer gestern auf dem Marktplatz war und die „Wiedereinweihungszeremonie“ verfolgt hat, konnte schon durch die Schlaglichtpräsentationen einiges erfahren zur Geschichte der Franzosen in Tübingen. Das Deutsch-französische Kulturinstitut hat dazu auch einen wunderbaren virtuellen Stadtrundgang entworfen, den Sie auf der Homepage des ICFA abrufen können.

Wenn Sie ins Stadtmuseum gehen, dessen Besuch seit kurzem übrigens kostenlos ist, werden Sie dort die alte Neptunfigur von Georg Müller aus Sandstein vorfinden sowie eine Zeichnung von Ernst Kielwein von 1879 – und Sie können diese Ausstellung mit Kunstwerken zum Thema Neptunbrunnen als virtuelle Diashow, zusammengestellt von Uli Waiblinger, bewundern.